Die Mittagssonne brennt, die Luft ist dick. Schlaglöcher, Müll und undefinierbarer Dreck erfordern die volle Konzentration beim Laufen durch die Straßen von Delhi. Und trotzdem denke ich: Ja, ich bin wieder zuhause.
Obwohl ich noch nie in meinen Leben in Delhi war, fühle ich mich heimisch-wohl. Trotz Schlafmangel, trotz der nicht schön zu redenden, offensichtlichen Missstände hier, trotz des so komplett anderen Lebens der Menschen. Seit meiner Indienreise in 2013 lässt mich dieses verrückte Land einfach nicht mehr los.
Wir sind vor wenigen Stunden gelandet, haben im Hotel eingecheckt und noch eine Stunde geschlafen. Obwohl wir die ganze Nacht über im Flugzeug nicht geschlafen haben, wollen wir nicht unseren ersten Tag verpennen und erkunden zu Fuß die Gegend um den Bahnhof von New Delhi. Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, mit einer Rikscha zu fahren. Die kleinen Tuk-Tuks mögen laut sein, sie sind aber das perfekte Fortbewegungsmittel für den quirligen Verkehr und lassen mich in Erinnerungen an meine Zeit in Mumbai schwelgen. Dass wir von den Fahrern preislich komplett abgezogen werden (sie wollen partout nicht mit Meter fahren – das hat in Mumbai immer geklappt), nervt mich zuerst ein bisschen, ist mir dann aber auch irgendwann egal. Ich will einfach nur Indien genießen.
Heiße Füße an der Jama Masjid
Nach einer kleiner Spritztour mit dem Tuk-Tuk entscheiden wir uns für den Besuch der Jama Masjid, der größten Moschee des Landes.
Barfuß laufen wir über über das Moscheegelände. Der Boden ist von der Sonne so heiß, dass ich vielmehr von Teppich zu Teppich springe, der an manchen Stellen ausgelegt ist. Das wird ordentlich Hornhaut geben!
Die ersten indischen Moscheebesucher wollen Fotos mit uns machen. Etwas, das wir schon aus Indien und anderen asiatischen Ländern kennen und sich jedes Mal zwischen witzig und komisch anfühlt.
Verkehr, Kühe und Samosas
Später geht es zu Fuß weiter durch die Gegend rum um Chandni Chowk (eines der ältesten und trubeligsten Marktviertel). Es ist Zeit für ein erstes Samosa!
Weil der Verkehr nun seinen Höhepunkt erreicht hat, entscheiden wir uns zu Fuß Richtung Hotel zu laufen. Wir nehmen eine der nach Süden verlaufenden Hauptstraßen, die Qutub Road. Keine schöne Straße. Hier ist es besonders schmutzig (das Kuh-Vorkommen ist hier auch besonders hoch und die machen eben Dreck) und wir passieren eindeutig schlechtere Teile von Delhi. Aber das gehört eben auch dazu. Armut und andere Missstände gehören hier zum alltäglichen Stadtbild.
Ein guter Grund für Indien: das Essen
Nach einer kurzen Verschnaufpause im Hotel treiben uns Hunger und Neugier aber wieder raus. Erneut nehmen wir ein Tuk-Tuk. Ziel ist der Connaught Place, ein etwas schickeres Plätzchen in Delhi mit vielen Geschäften, die uns allerdings wenig interessieren (wir kommen ja nicht nach Indien, um dann in einen Nike Store zu gehen). Wir wollen dort ein bestimmtes Restaurant suchen, das südindische Küche verspricht. Finden wir auch. Es ist schlicht, hat mehr was von Kantine, ist laut und genau richtig. Ehsan nimmt ein Thali, ich entscheide mich für Uttapam und bin im Himmel. Es ist zu schade, dass die meisten indischen Restaurants in Deutschland immer nur die gleichen Sachen anbieten. Oft gibt es ja “nur” eine Auswahl an Currys. Aber die indische Küche hat ja noch so viel mehr zu bieten! Wie eben Uttapam, so eine Art Pfannkuchen-Omlett-oder-wie-auch-immer.
Delhi by Cycle
Es heißt ja immer, man solle so leben als wäre jeder Tag sein letzter. An unserem zweiten in Delhi Tag haben wir mal riskiert, dass es unser letzter Tag werden könnte: Wir sind mit dem Fahrrad durch Delhi gefahren. Nun, natürlich nicht allein. Und es ist uns auch gar nichts passiert. Aber aufregend war es schon!
Gewagt haben wir uns das aber auch nur, weil es schon um 6 Uhr morgens los geht. Quasi bevor der Verkehr explodiert und es wirklich heikel wird. In einer kleinen Gruppe gings durch kleine und große Straßen von Old Delhi mit Zwischenstopps. Wir haben immer wieder gehalten, damit unser Tourguide uns etwas über die jeweiligen Orte erzählen kann.
Erst Husten, dann Aussicht: Über dem Gewürzmarkt
Obwohl eigentlich alles total spannend war, ist mir der Gewürzmarkt am meisten im Gedächtnis geblieben.
Wir parken unsere Räder und gehen gemeinsam durch ein dunkles Treppenhaus nach oben. Wir alle husten fürchterlich und es brennt in den Augen. Warum? Weil hier überall Chilis verladen werden und da immer mal wieder was aus den Säcken fällt. Die am Boden liegenden Chilis werden also permanent beim drüberlaufen gemahlen – es liegt im wahrsten Sinne des Wortes Chilli in der Luft! Husten tun übrigens nicht nur wir, sondern auch die Arbeiter, die mit den Säcken auf Schultern oder Karren die engen Durchgänge passieren.
Oben angekommen ist die Luft wieder rein. Und der Ausblick fantastisch. Wir sind auf den Dächern von Old Delhi mit Blick über den Gewürzmarkt.
Normalerweise gebe ich hier ja keine Tipps, aber die Tour ist wirklich toll. Wer´s mal machen will: Der Veranstalter ist http://delhibycycle.com/ und unsere Tour war die Shah Jahan Tour.
India Gate, Hitze und Lunch mit einer alten Bekannten
Klar, wenn meine Mumbaier Mitbewohnerin zufälligerweise mittlerweile in Delhi wohnt, dann will ich sie natürlich auch hier treffen. Wir sind mit ihr im Craft Museum verabredet. Bevor es dahin geht, machen wir noch einen Abstecher zum India Gate, weil wir genug Zeit haben und es scheinbar fußläufig zum Treffpunkt liegt. Dort ist es allerdings völlig unspektakulär und der Weg von dort zum Museum ist doch länger als gedacht, nämlich zwei Kilometer. An sich ja keine große Strecke, aber die April-Mittagshitze hat es echt in sich. Und so nehmen wir dann doch noch ein Tuk-Tuk, um unsere Füße und Gemüter zu schonen.
Es ist schön, Ashwitha wieder zu sehen. Das Museum ist zugegebenermaßen ziemlich öde und nicht gerade gut in Schuss. Aber das angeschlossene Restaurant “Café Lota” ist jede Rupie wert. Für indische Verhältnisse sicher hochpreisig, aber qualitativ echt super. Hach, die indische Küche. Dafür komme ich sicher immer mal wieder nach Indien…
Humayun’s Tomb
Weil der Tag noch jung ist, obwohl wir schon so viel gemacht haben, nehmen wir Ashwithas Tipp wahr, uns im Anschluss Humayun’s Tomb anzusehen. Typisch indisch: Ein Grab größer als jede Villa, das gilt nicht nur für das Taj Mahal. Wunderschön, ein ruhiges Plätzchen und sehr beeindruckend. Im Schatten können wir etwas Energie tanken, wenn wir nicht gerade wieder zu Fotosessions aufgefordert werden.
Am Bahnhof von Delhi: Warten und einem Verrückten entfliehen
Am späten Abend geht unser Zug zum nächsten Ziel. Per Nachtfahrt soll es mit dem Mussoorie Express in etwas über zehn Stunden nach Dehradun gehen, um von dort aus mit dem Auto weiter nach Mussoorie fahren zu können.
Da wir schon von früher wissen, dass der Verkehr in einer indischen Großstadt in den Abendstunden die Hölle ist, machen wir uns seeeehr früh auf den Weg zum Bahnhof. Viel zu früh wie sich herausstellt. Wir kommen überraschend gut durch und haben noch massig Zeit. Und das ist ziemlich doof.
Nicht die besten Startvoraussetzungen
Der Bahnhof von Delhi ist nämlich alles andere als gemütlich. Er erfüllt jedes Indien-Klischee. Es ist voll, laut, unfassbar dreckig, überall liegt Müll rum, Menschen schlafen in den Ecken und die Leute pinkeln einfach auf die Gleise, die von Ratten bevölkert werden. Ja, das gehört eben dazu. (Es gibt aber übrigens auch viel saubere Bahnhöfe in Indien, aber die großen Bahnhöfe sind halt so.)
Hinzu kommt, dass wir gehofft hatten, bessere Essensmöglichkeiten zu finden. Die Stände vor dem Bahnhof machen nicht den besten Eindruck. Ohne bevorstehende Zugfahrt hätten wir es vielleicht riskiert dort zu essen. Aber wer will schon Durchfall im Zug? 🙂 Die Zugtoiletten sind erfahrungsgemäß wirklich Horror. Also kaufen wir nur ein paar Nüsse und Roti als Proviant.
Obwohl die indische Bahn ziemlich pünktlich ist (eigentlich der Wahnsinn bei dem Passagieraufkommen!), hat unser Zug Verspätung. Na toll. Zu der ohnehin schon langen Wartezeit aufgrund unseres viel zu frühen Losfahrens kommt noch mehr Wartezeit hinzu.
Unser Verfolger
Was aber eigentlich das Schlimmste ist, ist unser Verfolger. Ja, wir wurden verfolgt. Von einem älteren Mann, der augenscheinlich ziemlich verrückt war.
Wir stehen mit unserem Gepäck auf einer der Brücken, die die Bahnsteige miteinander verbinden, um das Treiben unten auf den Gleisen zu beobachten. Irgendwann fällt uns auf, dass uns der kleine Mann mit dem faltigen Gesicht gegenüber ziemlich böse anschaut. Nach einiger Zeit merken wir, dass er scheinbar über uns flucht. Wir verstehen ihn nicht, aber seine Flüche gehen in unsere Richtung. Außerdem macht er sich irgendwelche Notizen.
Da er offensichtlich verrückt ist, mache ich mir nichts daraus und versuche ihn nicht zu beachten. Ehsan ist aber besorgt, gerade, weil er verrückt ist: Wer weiß, was dem durch den Kopf geht und ob der in seinem Wahn nicht doch mal ein Messer zückt… Sein Shirt, auf dem eine brennende USA-Flagge zu sehen ist, ist auch nicht besonders vertrauenserweckend. Er scheint einen Amerika-Hass zu haben und könnte uns für Amerikaner halten. Vielleicht mag er Weiße auch allgemein nicht, wer weiß das schon…
Also entscheiden wir uns, nach unten zum Gleis zu gehen. Dort sind mehr Leute. Nicht nur mehr, sondern verdammt viele. Kurz nachdem wir ein Plätzchen gefunden haben, taucht der Verrückte wieder auf. Wieder flucht er und beobachtet uns. Wir packen unsere Sachen und gehen ans andere Ende des Gleises. Wieder verfolgt er uns. Gar nicht so einfach den los zu werden!
Da wir zwei Polizisten oder Sicherheitsleute sehen, stellen wir uns in deren Nähe. Und das verschafft uns dann auch erstmal Ruhe. Der Verrückte bleibt auf Abstand.
Gruselig wird´s dann nur nochmal bei Einfahrt des Zuges. Wir wissen in etwa, wo unsere gebuchte erste Klasse halten wird und laufen in die Richtung. Gerade als wir einsteigen, sehen wir den Verrückten, der uns sucht. Schnell springen wir in den Zug und verschwinden hinter der abgedunkelten Scheibe. Von dort sehen wir, wie der Mann nach uns sucht, aber nicht findet. Wir verschwinden in unserem Zweier-Abteil und schließen die Tür. Puh, durchatmen. Das war jetzt ganz schön anstrengend. Wir sind sicher zwei Stunden vor dem Typen davongelaufen.
Und dann klopft es an der Zugtür! Wir zucken zusammen. Und lachen hinterher herzlich: Nicht der Verrückte ist es, sondern der sehr freundliche Schaffner.
Der Rest der Nacht ist wesentlich entspannter. Gemütlich tuckert der Zug in den Norden zu unserem nächsten Ziel und wir finden auch gut in den Schlaf.